Das Bundesteilhabegesetz (BTHG) sieht einen Bestandsschutz (§ 150 SGB IX) bei der Einkommensanrechnung für diejenigen Fälle vor, „in denen sich ausnahmsweise zum Tag des Systemwechsels [01.01.2020] eine höhere Eigenleistung ergeben würde“. Betroffen hiervon sind u.a. blinde und schwerstpflegebedürftige Menschen mit einem Pflegegrad 4 oder 5, deren besondere finanzielle Belastungen bislang durch die Regelung des § 87 Abs. 1 SGB XII berücksichtigt wurden (Beschränkung des Eigenbeitrags auf max. 40% des die Einkommensgrenze übersteigenden Einkommens).
NITSA e.V. stellte die Schutzwirkung dieses Bestandsschutzes von Anfang an in Frage, da das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) durch eine völlig schwammige Interpretation des Bestandsschutzes selbst Zweifel an dessen Wirkung säte. In der BTHG-FAQ des BMAS (Stand 01.01.2018) wurde die Frage „Welche Schutzwirkung entfaltet die Besitzstandsregelung konkret?“ noch bis August 2018 wie folgt beantwortet:
Mit der Übergangsregelung in § 150 SGB IX (Bestandsschutz) wird sichergestellt, dass Menschen mit Behinderungen durch den neu berechneten aufzubringenden Beitrag nicht höher belastet werden als nach dem bis zum 31. Dezember 2019 geltenden Recht. Diese Regelung gilt nur für Personen, die zuvor Leistungen nach dem SGB XII erhalten haben.
Genau wie die neu ins reformierte Leistungssystem hinzugekommenen Menschen mit Behinderungen haben auch Menschen mit Behinderungen, die durch eine wesentliche Einkommensveränderung (nach einer zwischenzeitlichen Einkommensreduzierung) nach dieser Regelung keinen Anspruch darauf, auf Dauer nach dem alten Recht behandelt zu werden. Damit können Menschen mit Behinderungen darauf vertrauen, dass bei unveränderten Verhältnissen zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des BTHG nicht bloß aufgrund der Rechtsänderung bei der Einkommensheranziehung weniger Geld für ihre angemessene Lebensführung zur Verfügung zu haben. Eine darüberhinausgehende Schutzwirkung ist mit der Besitzstandsregelung nicht beabsichtigt.
Überraschend aktualisierte das BMAS am 21.09.2018 seine Online-Version der FAQ (BTHG-FAQ, Stand 15.09.2018) und verdeutlicht klar unsere Befürchtung, dass der Bestandsschutz keine echte Schutzwirkung entfaltet:
Mit der Übergangsregelung in § 150 SGB IX (Besitzstandsregelung) wird sichergestellt, dass Menschen mit Behinderungen durch den ab 1. Januar 2020 aufzubringenden Beitrag nicht höher belastet werden als nach dem bis zum 31. Dezember 2019 geltenden Recht. Diese Regelung gilt nur für Personen, die allein durch den Systemwechsel vom 31. Dezember 2019 zum 1. Januar 2020 (bei „unveränderten Verhältnissen“) eine höhere Eigenleistung erbringen müssten. Auch für diejenigen, die bis zum 31. Dezember 2019 keine Eigenleistung erbringen müssen und nach dem neuen Recht ab 1. Januar 2020 einen Beitrag aufbringen müssten, gilt die Besitzstandsregelung.
Die Besitzstandsregelung gilt jedoch nicht für Personen, die über den 31. Dezember 2019 hinaus Eingliederungshilfe beziehen und deren Einkommen sich zu einem späteren Zeitpunkt erhöht.
Die Antwort lässt nunmehr keinen Interpretationsspielraum mehr übrig: Eine simple Einkommenserhöhung, die der Leistungsberechtigte z.B. im Falle einer Tariferhöhung oder bei angeordneten Überstunden nicht einmal verhindern kann, kostet den Bestandsschutz. Das wird i.d.R. wenige Monate nach dem 01.01.2020 der Fall sein mit der Folge, dass der Leistungsberechtigte dann doch in die höchst nachteilige neue Einkommensanrechnung gezwungen wird.
NITSA e.V. erwartet von Seiten des BMAS eine Korrektur des BTHG, die sicherstellt, dass der betroffene Personenkreis zumindest nicht schlechter gestellt wird im Vergleich zum bis Ende 2019 gültigen Recht, wenn schon das BMAS nicht in der Lage war, auch für diesen Personenkreis Verbesserungen herbeizuführen. Selbstverständlich betrifft diese Forderung auch Leistungsberechtigte, die erst nach 2019 Leistungen der Eingliederungshilfe erhalten werden.
Ein wie oben formulierter Bestandsschutz schafft nicht das Vertrauen, das man mit diesem Begriff allgemein verbindet und auch erwartet.