Es ist vollbracht: SPD, Grüne und FPD habe sich auf einen Koalitionsvertrag geeinigt, der nach vier Jahren der Stagnation und Rückschritte, wieder frische Impulse für Menschen mit Behinderungen setzt.
Doch wie konkret wurden unsere Forderungen zur Bundestagswahl 2021 aus Sicht von Menschen mit behinderungsbedingtem Assistenzbedarf im Ampel-Koalitionsvertrag berücksichtigt?
Einkommens- und Vermögensanrechnung für Assistenzleistungen beenden!
Das Thema „Einkommens- und Vermögensanrechnung für Assistenzleistungen“ hat es immerhin in den Koalitionsvertrag geschafft, wenn auch nicht von der vollständigen Abschaffung der Einkommens- und Vermögensanrechnung die Rede ist:
„Wir nehmen die Evaluation des Bundesteilhabegesetzes ernst und wollen, dass es auf allen staatlichen Ebenen und von allen Leistungserbringern konsequent und zügig umgesetzt wird. Übergangslösungen sollen beendet und bürokratische Hemmnisse abgebaut werden. […] Aufbauend auf der Evaluierung wollen wir weitere Schritte bei der Freistellung von Einkommen und Vermögen gehen.“ (S. 79)
Entscheidend wird hier sein, wie groß diese „weiteren Schritte bei der Freistellung von Einkommen und Vermögen“ sein werden. Die Koalitionäre müssen wissen, dass z.B. die Freistellung von Einkommen nicht geringer ausfallen kann, wie bei den Angehörigen von Pflegebedürftigen und den Eltern volljähriger behinderter Kinder (vgl. Angehörigen-Entlastungsgesetz).
Nicht wiederholen dürfen sich die leeren Versprechungen der SPD in der großen Koalition 2013 – 2017, die „Menschen, die aufgrund einer wesentlichen Behinderung nur eingeschränkte Möglichkeiten der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft haben, aus dem bisherigen ‚Fürsorgesystem‘ herausführen“ wollte (Koalitionsvertrag 2013). Stattdessen ist das Bundesteilhabegesetz herausgekommen, das wie zuvor den Duktus der Sozialhilfe aufweist und weiterhin hohe Beiträge aus eigenem Einkommen und Vermögen fordert.
Kostenvorbehalt abschaffen, Wunsch- und Wahlrecht stärken!
Auch unsere Forderung nach Stärkung des Wunsch- und Wahlrechts findet sich im Koalitionsvertrag wieder:
„Wir werden Hürden, die einer Etablierung und Nutzung des Persönlichen Budgets entgegenstehen oder z. B. das Wunsch- und Wahlrecht unzulässig einschränken, abbauen.“ (S. 79)
„Bei der intensivpflegerischen Versorgung muss die freie Wahl des Wohnorts erhalten bleiben. Das Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz (IPReG) soll darauf hin evaluiert und nötigenfalls nachgesteuert werden. Wir gestalten eine rechtssichere Grundlage für die 24-Stunden-Betreuung im familiären Bereich.“ (S. 81)
Hier wird sich erst zeigen müssen, was die Koalitionäre konkret unter „unzulässiger“ Einschränkung des Wunsch- und Wahlrechts verstehen. Der Kostenvorbehalt gehört definitiv dazu. Erfreulich ist die Klarstellung, dass auch bei der intensivpflegerischen Versorgung die freie Wahl des Wohnorts erhalten bleiben muss. Eine Erkenntnis, der sich Jens Spahn und die CDU/CSU bis zum Schluss zu entziehen versuchten.
Was es nicht in den Koalitionsvertrag geschafft hat
Bedauerlicherweise findet sich im Koalitionsvertrag kein Wort zum Zwangspoolen von Assistenzleistungen, zur Assistenz für ehrenamtliche Tätigkeit von Assistenznehmern und der Assistenz im Krankenhaus. Gerade mit Blick auf die nach wie vor ungenügend regulierte Assistenz im Krankenhaus müssen noch zeitnah Nachbesserungen erfolgen.
Auch wenn nicht alle unsere Forderungen erfüllt wurden, so macht der Koalitionsvertrag zumindest Hoffnung. Es gibt wieder Anknüpfungspunkte für einen konstruktiven Austausch mit den politischen Entscheidern. Wir freuen uns auf diesen Dialog.