Anteiliges Pflegegeld zunehmend unter Beschuss

faviconNITSA e.V. hat am 30. März 2017 darauf hingewiesen (Anspruch auf pauschales Pflegegeld bleibt), dass auch nach dem Pflegestärkungsgesetz III (PSG III) weiterhin ein Anspruch auf das anteilige Pflegegeld bestehen bleibt. Es häufen sich bundesweit weiter die Mitteilungen an NITSA e.V., dass Kostenträger die Rechtsauffassung vertreten, das anteilige Pflegegeld nicht mehr zahlen zu müssen.

Neben der bereits veröffentlichten Ansicht, dass der § 66 SGB XII (altes Recht) geändert/abgeschafft worden sei, wurde nun eine Rechtsauffassung bekannt, die basierend auf dem § 63 b SGB XII (PSG III) argumentiert, dass Abs. 4 die Anrechnung des Pflegegeldes auf vorrangige Leistungen fordert und die Beschränkung der Anrechnung um 2/3 erst im Absatz 5, also danach, erfolge. Daraus wird abgeleitet, dass der Anspruch auf Pflegegeld mit Einführung des PSG III zu Jahresbeginn beim Arbeitgebermodell wegfällt.

Hierzu eine Stellungnahme unseres NITSA-Mitgliedes und Kölner Juristen Carl-Wilhelm Rößler, der bereits beim Bundesteilhabegesetz (BTHG) als Sachverständiger für das Forum behinderter Juristinnen und Juristen (FbJJ) an vorderster Front aktiv war:

„Entgegen der geschilderten Rechtsauffassung besteht der Anspruch auf Pflegegeld in Höhe von mindestens einem Drittel auch nach Einführung des Pflegestärkungsgesetzes III fort.

Insbesondere bildet § 63b Abs. 4 S. 2 SGB XII keine taugliche Rechtsgrundlage für die künftige Verweigerung des anteiligen Pflegegeldes. § 63b SGB XII bezieht sich allein auf Szenarien eines vorübergehenden Aufenthalts in einem Krankenhaus, einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung von Personen, die ihre Pflege durch ein Arbeitgebermodell organisieren. In diesen Fällen sind vorrangige Leistungen nach dem SGB XI (!) anzurechnen.

Im vorliegenden Fall jedoch geht es nicht um den Umgang mit dem Pflegegeld nach dem SGB XI für den Fall eines Krankenhausaufenthalts durch den Assistenznehmer, sondern um die kontinuierliche Bewilligung und Auszahlung eines anteiligen Pflegegeldes nach den Bestimmungen des SGB XII. Dies wird auch deutlich gemacht durch die verschiedenen Bezeichnungen des Pflegegeldes. Während § 63b SGB XII von Pflegegeld nach den §§ 37 und 38 des Elften Buches spricht, bezieht sich § 63b Abs. 5 lediglich auf das Pflegegeld. Es ist zwingend davon auszugehen, dass insoweit das Pflegegeld nach dem SGB XII genannt ist, welches wie auch schon in der Vergangenheit, um bis zu zwei Drittel gekürzt werden kann.

Diese Rechtsauffassung wird zudem gestützt durch die Kabinettsvorlage zum Pflegestärkungsgesetz III. Einzelheiten sind Seite 95 der Vorlage zu entnehmen: Pflegestärkungsgesetz III

Aus alledem wird deutlich, dass eine Kürzung des anteiligen Pflegegeldes über die bisherigen 2/3 hinaus nicht in Betracht kommt, im Gegenteil, die geplante Vorgehensweise ist rechtswidrig und verletzt die Betroffenen in ihren subjektiv-öffentlichen Rechten.“

Wer also ebenfalls von seinem Kostenträger ein Schreiben oder einen Bescheid erhält, der das Pflegegeld in Frage stellt, sollte Widerspruch einlegen und klagen, wenn der Kostenträger weiter auf seiner Rechtsauffassung besteht. Um das Ausmaß dieser bundesweiten Kampagne besser bewerten zu können, bittet NITSA e.V. um Zusendung solcher Schreiben und Bescheide.

Anspruch auf pauschales Pflegegeld bleibt

faviconAktuell häufen sich die Schreiben einiger Sozialämter und informieren über die Einstellung der Leistungen zum pauschalen Pflegegeld gemäß § 66 SGB XII, mit der Begründung, dass der § 66 durch Einführung des Bundesteilhabegesetzes geändert worden sei.

Das ist grundsätzlich richtig. Die Sachbearbeiter haben aber nicht erkannt, dass der besagte § 66 Abs. 2 Satz 2 SGB XII alte Fassung (Kürzung des sozialhilferechtlichen Pflegegeldes um höchstens 2/3) inhaltsgleich in § 63 b Abs. 5 SGB XII neue Fassung übernommen wurde, also genauso weiter gilt wie bisher.

Also nicht von den Kostenträgern ins Bockshorn jagen lassen. Der Anspruch auf Leistungen des „pauschalen Pflegegeldes“ (mindestens 1/3 des Pflegegeldes der Pflegeversicherung) gilt weiterhin, sowohl im Arbeitgebermodell als auch bei der Assistenz über einen ambulanten Dienst. Wenn derartige Schreiben ins Haus flattern, unbedingt in Widerspruch gehen und notfalls auch klagen.

Weiteres positives Urteil für Menschen mit Assistenzbedarf

NITSA-Logo faviconAm 12. September 2016 hat die 1. Kammer des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) in Karlsruhe einem behinderten Menschen mit Assistenzbedarf Recht zugesprochen. (Az: 1 BvR 1630/16) Das Gericht sah dessen Grundrecht auf einen wirksamen Rechtsschutz gefährdet.

Der behinderte Kläger ist wegen der Folgen einer frühkindlichen Hirnschädigung auf ständige Pflege und Unterstützung angewiesen. Der Sozialhilfeträger gewährt ihm ein Persönliches Budget mit dem er in einer eigenen Wohnung wohnen und die ambulante Versorgung selbst organisieren kann, indem er Assistenzkräfte beschäftigt (im sogenannten „Arbeitgeber-/Assistenzmodell“). Das Sozialamt wollte die gestiegenen Kosten für die Assistenzkräfte nicht mehr übernehmen.

Bis zur endgültigen Klärung der inhaltlichen Frage wäre dem Betroffenen das Geld ausgegangen, er hätte Privatinsolvenz anmelden müssen und er hätte ohne notwendige Unterstützung dagestanden. Damit der Sachverhalt ohne Zeitdruck abschließend geklärt werden kann, gab das Bundesverfassungsgericht dem Mann Recht und verwies den Rechtsstreit zurück an die zuständigen Sozialgerichte.

Das ist ein richtungsweisendes Urteil dahingehend, dass behinderte Menschen mit Assistenzbedarf die ihre Versorgung über das persönliche Budget im Arbeitgeber-/Assistenzmodell sicherstellen wollen, nicht mehr bis zur rechtlichen Klärung finanziell ausgeblutet werden können/dürfen. Genau das war bisher sehr oft die Taktik von Sozialhilfeträgern, die damit einfach Kosten sparen wollen.

Richtungweisendes Urteil zum Einkommenseinsatz

faviconBezüglich des Einkommenseinsatzes bei Menschen mit Pflegestufe 3 erging am 03.11.2016 ein richtungweisendes Urteil (S 8 SO 653/13) am Sozialgericht Mannheim.

Im Grundsatz geht es um folgenden Sachverhalt: In der Praxis werden, ausgehend von der 60%-Schonung bei Menschen mit Pflegestufe 3 (vgl. § 87 Abs. 1 SGB XII), weitere prozentuale Freilassungen z.B. aufgrund der Dauer und Schwere der Behinderung hinzuaddiert.

Die Addition der Freibeträge führt z.T. zu einer vollständigen Schonung des eigenen Einkommens, wie das Urteil des Sozialgerichts Mannheim zeigt. Darin stellt das Gericht fest, dass zusätzlich zum Grundfreibetrag in Höhe von 60 vom Hundert des Einkommens weitere 10 vom Hundert aufgrund der Familienverhältnisse und 30 vom Hundert aufgrund der Dauer des Hilfebedarfs zu berücksichtigen sind, mit dem Ergebnis, dass der Kläger aus seinem Einkommen keinen Eigenbeitrag mehr leisten muss. Das Urteil ist rechtskräftig.

NITSA e.V. empfiehlt Menschen mit Pflegestufe 3 und blinden Menschen, die einen Eigenbeitrag zu ihrer Assistenz leisten müssen, zu prüfen, ob in ihrem Fall ggf. ein höherer Freibetrag als der minimal vorgesehene Freibetrag von 60% anzusetzen ist. Oftmals ignorieren Sozialbehörden, dass gemäß § 87 Abs. 1 SGB XII mindestens 60% des Einkommens über der Einkommensgrenze geschont werden müssen. Diese Prüfung ist auch mit Blick auf die neue Einkommensanrechnung nach dem Bundesteilhabegesetz ab 2020 empfehlenswert. Mit der neuen Einkommensanrechnung entfällt nämlich die besondere Regelung für Menschen mit Pflegestufe 3 und für blinde Menschen, sodass deren Eigenbeitrag erheblich steigen kann (siehe auch FAQ zum Bundesteilhabegesetz).

FAQ zum Bundesteilhabegesetz erweitert

faviconEnde Dezember 2016 informierte NITSA mit einer FAQ über die anstehenden Änderungen durch das Bundesteilhabegesetz zum Jahreswechsel. Die FAQ zum Bundesteilhabegesetz wurde jetzt um weitere Fragen und Antworten erweitert und deckt somit auch die Reformschritte ab 2018, 2020 und 2023 ab. Im Fokus der FAQ stehen Änderungen, die sich speziell auf Menschen mit Assistenzbedarf auswirken.

Das Bundesteilhabegesetz tritt in Kraft – Was ändert sich ab 2017?

faviconDas Bundesteilhabegesetz wurde Ende 2016 vom Bundestag und Bundesrat beschlossen. Damit tritt 2017 das sog. Übergangsrecht in Kraft, bevor dieses 2020 durch die eigentliche Reform der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung abgelöst wird.

Das Übergangsrecht bringt für die Betroffenen im Wesentlichen erste Verbesserungen im Bereich der Anrechnung von eigenem Einkommen und Vermögen. Wie sich diese Änderungen konkret auf Menschen mit Behinderung, die auf Assistenz angewiesen sind, auswirken, erfahren Sie in den FAQ zum Bundesteilhabegesetz im Service-Bereich der NITSA-Hompeage.

NITSA e.V. – mit teilweise neuem Vorstand

Am vergangenen Freitag fand in der Manfred-Sauer-Stiftung in Lobbach die alljährliche Mitgliederversammlung des Netzwerkes für Inklusion,Teilhabe, Selbstbestimmung und Assistenz e.V. (NITSA) statt. Neben den Berichten zum Geschäftsjahr 2015 zu den Tätigkeiten und der Finanzsituation diskutierten die anwesenden Mitglieder vor allem darüber, wie sich diese auch nach dem Inkrafttreten des Bundesteilhabegesetzes weiterhin in die Umsetzung und Beratung für gute Assistenzbedingungen einsetzen können. Dabei wurde schnell klar, dass es auch einer guten, aber vor allem einer unabhängigen Beratung im Sinne des Peer Counselling bedarf. Wie Corina Zolle berichten konnte laufen derzeit dazu Gespräche mit zwei regionalen Assistenzvereinen, um ein gemeinsames Kooperationsprojekt zu organisieren.

Die Vereinsmitglieder konnten aber auch auf zwei erfolgreiche Jahre zurückblicken. So erinnerte der Vorstand unter anderem daran, dass es bereits nach knapp einem Jahr gelungen sei, im Mai 2015 eine große Fachtagung zum Thema Assistenz in Berlin zu organisieren.

Und nach diesen zwei erfolgreichen Jahren standen zum ersten Mal turnusmäßige Vorstandswahlen an. Die bisherigen drei gleichberechtigten Vorstände nach § 26 BGB Jens Merkel, Dr. Klaus Mück sowie Dr. Corina Zolle wurden durch die Mitgliederversammlung einstimmig in ihren Ämtern bestätigt. In den erweiterten Vorstand wurde neben den bisherigen Mitgliedern Karin Brich, Harry Hieb, Matthias Grombach und Thomas Schulze zur Wiesch Jenny Bießmann neu in diesen gewählt. Als Rechnungsprüfer fungiert für die nächsten zwei Jahre Oliver Straub.

Zum Abschluss der Mitgliederversammlung betonte Klaus Mück noch einmal, dass der Vorstand allen Mitgliedern dankbar sei, dass der Netzwerkgedanke gerade bei den derzeitigen Diskussionen um ein gutes Bundesteilhabegesetz so gut gelingt, dass es nicht nur mit viel Arbeit verbunden ist, sondern auch Spaß macht, zusammen mit vielen Menschen diesen Netzwerkgedanken zu leben.

Berechnungen des BMAS zum Einkommenseinsatz in der Eingliederungshilfe

faviconSeit wenigen Tagen liegt NITSA e.V. ein Dokument („Das BTHG in der Diskussion“) aus dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) vor, in dem das BMAS die Kritik am Bundesteilhabegesetz der Vereine und Verbände der Menschen mit Behinderungen zu entkräften versucht. In diesem Dokument rechnet des BMAS u.a. die Auswirkungen des Bundesteilhabegesetzes auf den künftigen Einkommenseinsatz behinderter Menschen bei Erhalt von Eingliederungshilfe vor. Wir hatten dadurch erstmals die Gelegenheit, getroffene Annahmen zu prüfen und die Berechnungen selbst zu verifizieren. Hierbei sind wir auf einige Ungereimtheiten gestoßen, was uns veranlasste, einen Brief an alle Mitglieder des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu verfassen.